Fachtag Perinatalmedizin in der Medical School Hamburg
Konzipiert war dieser für ambulante Einrichtungen, vor allem niedergelassene GynäkologInnen und Hebammen, damit sie sich besser in die Rundumversorgung von Frühgeborenen einbringen können. Im Großen Hörsaal, dem so genannten Goldenen Ei, wurden rund 100 ZuhörerInnen über die positiven Effekte von Rooming-in auf das Hirnwachstum und Beatmungsdauer des Frühgeborenen informiert. Die Chefärzte beider Einrichtungen, die zusammen das Perinatal Zentrum 1 (PNZ 1) bilden, gaben zwischen den Hauptvorträgen mit jeweils einer kurzen Rede einen Einblick in die Errungenschaften ihrer jeweiligen Disziplin. Der leitende Neonatologe Prof. Dr. med. Lutz Koch führte beispielsweise an, dass in seinem Geburtsjahr, 1973, kein Kind unter 1000 Gramm überlebt hätte, da habe man gerade erste neonatologische Intensivstationen aufgebaut. Seit 1980 gebe es Beatmung und „Känguruhen“, seit 1990 Surfactant und Pulsoxymetrie. In der letzten Dekade sei das neue Thema die Frühförderung, die durch verschiedene Programme zunehmend stärker ausgebaut wird. Als besonders positiv beschrieb er das "Entwicklungsfördernde, familienzentrierte und individuelle Betreuungskonzept" (EFIB), das nun auch fest zum PNZ 1 gehöre, sowie das Konzept "Eltern durch Wissen stärken" (ELWIS).
Koch arbeitet mit dem neuen Leiter der Geburtshilfe, Dr. Oliver Heine, sehr eng zusammen, was schon räumlich so konzipiert worden ist: Das Marienkrankenhaus, eine der größten Geburtskliniken in Deutschland, beherbergt im obersten Stockwerk, über dem Kreißsaal, eine vom Kinderkrankenhaus Wilhelmstift geleitete Neonatologie-Station auf Level 1. Das Besondere: Eltern-Kind Zimmer, dank derer das EFIB Konzept noch besser umgesetzt werden kann, so Prof. Dr. Lutz Koch. "Die Eltern lernen, so früh wie möglich ihr Kind selbst zu wickeln, zu füttern und wenn nötig zu sondieren. Schon in den ersten Lebensstunden beginnen wir mit dem frühen „Känguruhen“, auch bei den Kindern unter 500 Gramm. Unterstützt werden die Eltern dabei von eigens geschultem Fachpersonal." Da die guten Behandlungserfolge von EFIB und die damit verbundene verkürzte stationäre Verweildauer überzeugend waren, wurde die Neonatologie-Station von ehemals 12 auf 20 Eltern-Kind-Zimmer erweitert.
Zwei Vorträge standen im Zentrum der Veranstaltung. Den ersten hielt die Neonatologin Dr. med. Britta Hüning vom Uniklinikum Essen. Sie sprach darüber, dass Familienzentrierte Betreuung in der Neonatologie nicht nur "nice to have" ist, sondern heute ein Muss. Früher hätten strenge Besuchszeiten auf der Neonatologie gegolten und man habe die Eltern mitunter eher als Belastung empfunden, entsprechend schlecht waren diese für zu Hause vorbereitet. Durch ein spezielles Care-and-Case-Management würden die Eltern inzwischen auf ihrer Station entsprechend der Schlafarchitektur ihres Kindes komplett eingebunden, erklärte Hüning, damit sie sich so schnell wie möglich in der Betreuung sicher werden. Weil die Frühgeburt in eine Phase der Schwangerschaft falle, in der das Kind noch nicht als eigenständige Person wahrgenommen werde, müssten die Mütter besonders darin unterstützt werden, eine gute Bindung aufzubauen, etwa durch Skin-to-Skin-Care. Dies sei eine optimale Prophylaxe gegen Depressionen bei der Mutter und würde als eine vieler Maßnahmen die Hirnentwicklung der Kinder messbar fördern. Frühchen hätten verschiedene Schläge (Hits) bekommen, etwa durch Infektionen, Mangelversorgung und Sauerstoffmangel, weshalb ihre kognitiven und sozialen Leistungen in der Schule meist deutlich schlechter seien. Das UK Essen habe aus den USA ein dort schon seit über zwei Jahrzehnten existierendes Newborn Individualized Developmental Care and Assessment Program (NIDCAP) übernommen, ein spezielles Pflegekonzept, was die Frühchen körperlich und mental auf sanfte Weise fördert. Durch die bei dieser Pflege berücksichtigten richtigen sensorischen Reize würde das physiologisch anfangs strukturell glatte Hirn beispielsweise mehr Stützgewebe und mehr Aussprossungen der Nervenzellen bilden sowie zu einer besseren Ummantelung mit Myelin führen, wodurch Reizübertragungen schneller werden - und später die Lernerfolge größer.
Prof. Dr. rer. nat. Claudia Buss vom Institut für Medizinische Psycholgie an der Charité Berlin referierte die Auswirkung von mütterlichem Stress auf die fetale und frühkindliche Entwicklung des Kindes. Systeme, die sich entwicklungsbedingt rapide verändern, wie etwa Menschen in ihrer Perinatalzeit, seien besonders empfindlich. Stress würde sie zu weniger Gesundheit im späteren Leben programmieren. Um 1900 gab es erste Vermutungen, dass Stress das Blut der Mutter verändern könne. Die Psychologin konnte anhand ihrer Forschungen belegen, dass es tatsächlich im Blut der Mutter messbare Parameter gebe, etwa ein Anstieg des Cortisols und Interleukin 6, speziell auch plazentares Interleukin 6, die Effekte auf die Gehirnentwicklung haben. Besonders Mädchen würden eine nachweisliche größere Amygdala entwickeln, die dann zudem noch mit einem anderen Angstzentrum, der Insula, eines der fünf Großhirnlappen, enger vernetzt sei als gewöhnlich. Auch sei die Graue Substanz reduziert. Diese veränderte Stressbiologie würde sich auch in der nächsten Generation bemerkbar machen. Mit speziellen Elterntrainings müsse dafür gesorgt werden, diese Kreisläufe zu durchbrechen. Und Buss betonte: Wenn Frauen subjektiv Stress angeben, egal ob durch einen Umzug oder durch eine weit zurück liegende massive Gewalterfahrung, müsse zukünftig viel mehr unterstützend darauf eingegangen werden.
Für die anschließende Podiumsdiskussion war auch Petra Wille eingeladen, deren Tochter zwölf Wochen zu früh im Marienkrankenhaus geboren wurde. Mit sehr großer Zufriedenheit berichtete sie von ihren Erfahrungen und der äußerst positiven Entwicklung ihres Kindes im PNZ 1. Der sichtbare Erfolg von EFIB wurde auch sichtbar, als im Foyer ihr Ehemann und die inzwischen einjährige Tochter auftauchten: Beide haben eine enge Bindung, die sie auch Dank des gemeinsames Aufenthaltes im PNZ1 aufgebaut haben.
Sie haben Interesse an den Fortbildungsunterlagen oder möchten weitere Informationen? Dann wenden Sie sich gern an
Prof. Dr. Lutz Koch
Tel. 040 67377-276
l.koch(at)kkh-wilhelmstift.de