Brandbrief der Mitarbeitervertretung des Kinderkrankenhauses Wilhelmstift

Hamburg, 08. Dezember 2022 – Mit einem offenen Brandbrief hat sich die Mitarbeitervertretung des Kath. Kinderkrankenhauses Wilhelmstift an den Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, sowie Senatorin Dr. Melanie Leonard und Staatsrätin Melanie Schlotzhauer, von der Sozialbehörde Hamburg gewendet, um auf die derzeitige Situation des Pflegepersonals am Wilhelmstift aufmerksam zu machen und konkrete Unterstützung von der Politik einzufordern. 

Die Pflegefachkräfte des Wilhelmstiftes stehen unter sehr hoher Belastung. Als Gründe dafür wurden hoher Krankenstand und extrem erschöpftes Fachpersonal genannt. Verschärft wird das Problem durch ein seit Monaten enorm hohes Patientenaufkommen. 

Die Geschäftsführung sieht die Lage ähnlich und unterstützt diesen Brandbrief. „Die Lage ist angespannt und wir bewundern die außergewöhnliche Leistung unter diesen extremen Bedingungen, die das Pflege- und medizinische Fachpersonal derzeit leistet und danken diesem sehr dafür“, so Henning David-Studt, Geschäftsführer am Wilhelmstift. „Wir unterstützen das Vorhaben der Mitarbeitervertretung, sich direkt an politische Entscheider zu wenden, um auf die derzeitige Lage aufmerksam zu machen.“, so der Geschäftsführer weiter. Auch das Direktorium sucht den Dialog mit Vertretern der Gesundheitspolitik und setzt sich für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen ein. 

--- Brandbrief ---

Ein Hilferuf des Pflegepersonals aus dem Kinderkrankenhaus Wilhelmstift Hamburg

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Lauterbach,
sehr geehrte Frau Dr. Leonhard, sehr geehrte Frau Schlotzhauer,

ergänzend zu dem Brandbrief der Hamburger Kinderärzte und angesichts der sich zuspitzenden Versorgungsnotlage für Kinder und Jugendliche, welche bundesweit in den Medien kursieren, möchte die Mitarbeitervertretung des Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift Stellung nehmen.

Wir prangern mit diesem Brief nicht den Träger oder die Geschäftsführung unseres Krankenhauses an, wir weisen auf die Missstände hin, welche aus eigener Kraft der Klinik und der Beschäftigten nicht gestemmt werden können.

Das Pflegefachpersonal ist gesundheitlich extrem angeschlagen. Fehlende Pausen, keine Zeit für menschliche Bedürfnisse wie Flüssigkeitszufuhr und Toilettengänge führen unter anderem immer mehr zu Ausfällen und Resignation. Ständiges Ein- und Umspringen, Überstunden und Doppelschichten machen krank. Der Krankenstand ist hoch und steigt weiter. Die Verweildauer in diesem Beruf sinkt zusehends. Immer mehr Pflegekräfte sind erschöpft und reduzieren ihre Arbeitszeiten oder drehen dem Krankenhaussystem den Rücken zu.  

Aufgrund des eklatanten Pflegemangels kann aktuell die stationäre- und die Notfallversorgung unserer Patienten nicht mehr medizinisch zufriedenstellend umgesetzt werden. 
Die Problematik beginnt schon in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) im Eingangsbereich der Klinik.
Die aus dem Brandbrief der Kinderärzte bekannte Versorgungslücke im niedergelassenen Bereich führen zu einer starken Erhöhung der Patientenzahlen in der ZNA, die für dieses Patientenaufkommen nicht ausgelegt ist.
Das enorm hohe Patientenaufkommen führt zu stundenlangen Wartezeiten in überfüllten Wartebereichen. Das Warten mit einem kranken Kind ist für die Angehörigen oft schwer zu ertragen. Dadurch nimmt die psychische und physische Gewalt gegenüber den Mitarbeitenden stetig zu. Trotz einer professionellen Triagierung können Patienten mit hoher Behandlungspriorität häufig nicht im vorgeschriebenen Zeitraum von einer Ärztin oder einem Arzt gesehen werden.

Wenn dann ein Kind stationär aufgenommen werden muss, sind Mediziner und Pflegepersonal oftmals lange damit beschäftigt, ein betreutes Bett in der Klinik zu organisieren. Dabei sind die theoretisch vorhandenen Betten meist nicht das Problem. Aufgrund des Mangels an Pflegepersonal können auf den Stationen nur ein Teil der vorhandenen Betten tatsächlich belegt werden. Mehrmals wöchentlich gelingt dieses nicht und es muss versucht werden, die Patienten in andere Hamburger Kinderkliniken und -Abteilungen zu verlegen. Aber auch dort ist die Situation meist ähnlich. Dann wird die Suche auf das Hamburger Umland ausgeweitet.
Dass Kinder und ihre Familien aus Hamburgs Osten dann nach Itzehoe, Neumünster, Lübeck oder sogar bis nach Flensburg verlegt werden müssen, ist für die Kinder und die Eltern kaum zu ertragen und kann nicht im Sinne der Gesundheitspolitik sein. Wir haben nachweislich bis Oktober dieses Jahres, 329 Patienten erfasst, die nicht hier stationär betreut werden konnten. 

Diese beschriebene Problematik bestand auch schon vor der aktuell vorherrschenden RSV-Welle.

Wenn aber auch die anderen Kinderkliniken diese Patienten nicht mehr aufnehmen können, dann müssen diese trotz aller Bedenken im Wilhelmstift aufgenommen werden. In diesen Fällen leidet die Versorgungsqualität pflegerisch wie medizinisch. Patienten und  Angehörige müssen lange warten bis eine Ärztin, ein Arzt oder Pflegefachpersonal für sie Zeit haben. Unterstützung der Eltern ist kaum möglich, alles findet unter massivem Zeitdruck statt, wichtige Informationen gehen verloren, Beschwerden häufen sich. Grundpflege und Behandlungspflege werden reduziert oder gar nicht durchgeführt. Medikamentengaben und Therapien wie z.B. Inhalation finden verspätet statt. Überlastungsanzeigen seitens der Pflege sind an der Tagesordnung, um wenigstens rechtliche Absicherung zu schaffen. 

Da stets neue Patienten ins Haus drängen, wird die Verweildauer so weit wie medizinisch vertretbar reduziert.  
Eine längere Behandlung und Beobachtung der Kinder wäre sehr oft der medizinisch bessere Weg, aber der enorme Aufnahmedruck aus der Notaufnahme, in der zu viele kranke Kinder nachrücken, lässt uns oft keine Wahl.

Das Personal, insbesondere die Pflege, muss sofort entlastet werden.

•    Wir fordern unnütze Dokumentationsaufwände von 3-4 Stunden pro Schicht und Person mindestens zu halbieren

Qualifiziertes Gesundheits- und Kinderkrankenpflegepersonal lässt sich nicht finden, vakante Stellen können nicht besetzt werden. Perspektivisch sehen wir auch keine Besserung. 
Die Qualität der Ausbildung leidet zudem an mangelnder Anleitung. Die Ausbildung kann mit dem wenigen vorhandenen Personal nicht befriedigend bewerkstelligt werden. Praxisanleiterinnen werden voll in der Pflege eingesetzt.  Auszubildende laufen nebenher und die Fachkräfte können ihnen nicht die notwendigen Inhalte im benötigten Umfang vermitteln.
So besteht eine hohe Gefahr diese jungen KollegInnen schnell in andere Berufe zu verlieren.

Hinzu kommt, dass es ab 2023 leider immer weniger spezialisierte Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner für die Pädiatrie geben wird.
Die in den letzten Jahren durch die Politik präferierte „generalistische  Ausbildung“ mit wenigen Ausbildungsstunden in der Pädiatrie befähigen die Absolventen nicht zu einem uneingeschränkten Einsatz in der Kinderkrankenpflege.
Wir brauchen qualifizierten Nachwuchs und dieser wird perspektivisch immer weniger zur Verfügung stehen.

•    Wir fordern die Beibehaltung der spezialisierten Ausbildung in der Kinderkrankenpflege

Die Kinderkliniken müssen aus dem DRG-System genommen und komplett refinanziert werden!
Nur wenn alle Kosten der Kinderkliniken voll refinanziert werden, können die Krankenhausträger über Einstellungen dafür sorgen, dass andere Berufe die Pflege wirkungsvoll entlasten!
Permanenten Kontrollen und Systemüberprüfungen durch den Medizinischen Dienst stehen in den Kinderkliniken bekanntermaßen in keinem Verhältnis von Aufwand und Nutzen.

•    Wir fordern die vollständige Finanzierung von weiterem Personal, dass die Pflege angesichts des Personalmangels bei der Bewältigung ihrer Aufgaben unterstützt, und zwar ohne limitierende Quote
•    Wir fordern eine Reduzierung oder das Aussetzen der permanenten Kontrollen und Systemüberprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen in den Kinder- und Geburtskliniken

Wir bitten Sie dringend, sich vor Ort eine eigene Meinung zu bilden. Machen Sie sich ein Bild von dieser Situation und kommen mit den betroffenen Familien und Mitarbeitenden ins Gespräch. 


Die Mitarbeitervertretung Katholisches Kinderkrankenhaus Wilhelmstift

Christoph Maerz, Rebekka Köpcke und Max Mann (die Vorsitzenden der MAV)
 

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